15. Februar 2025

KI-Kompetenz nach Artikel 4: Was müssen Ihre Mitarbeiter wirklich wissen?

KI-Kompetenz Mitarbeiter

Die KI-Kompetenzanforderungen des EU AI Act entschlüsselt

Seit dem Inkrafttreten der Schulungspflicht nach Artikel 4 des EU AI Act am 2. Februar 2025 stehen Unternehmen vor einer entscheidenden Frage: Was genau müssen meine Mitarbeiter über KI wissen, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen? Der Begriff "ausreichendes Maß an KI-Kompetenz" lässt viel Interpretationsspielraum – und genau das verunsichert viele Verantwortliche. Dieser Artikel entschlüsselt die konkreten Anforderungen an die KI-Kompetenz Ihrer Mitarbeiter und gibt Ihnen praktische Hinweise zur Umsetzung.

Was bedeutet "KI-Kompetenz" im Sinne des EU AI Act?

Der EU AI Act definiert KI-Kompetenz in Artikel 4 als das Wissen, die Fähigkeiten und das Verständnis, die erforderlich sind, um KI-Systeme sicher, rechtmäßig und ethisch korrekt zu betreiben und zu nutzen. Dabei geht es nicht nur um technisches Wissen, sondern um ein ganzheitliches Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen von KI-Systemen.

Der genaue Wortlaut des Artikels 4 lautet:

"Anbieter und Betreiber von KI-Systemen müssen Maßnahmen ergreifen, um nach bestem Vermögen ein ausreichendes Maß an KI-Kompetenz ihrer Mitarbeiter und anderer Personen zu gewährleisten, die in ihrem Auftrag mit dem Betrieb und der Nutzung von KI-Systemen befasst sind, wobei deren technisches Wissen, Erfahrung, Ausbildung und Schulung sowie der Kontext, in dem die KI-Systeme eingesetzt werden sollen, und die Personen oder Personengruppen, für die die KI-Systeme bestimmt sind, zu berücksichtigen sind."1

Die Verordnung legt bewusst keine starren Mindestanforderungen fest, sondern verfolgt einen risikobasierten Ansatz: Je höher das Risiko eines KI-Systems, desto umfassender müssen die Kompetenzen der damit arbeitenden Personen sein. Dieser flexible Ansatz ermöglicht es Unternehmen, die Schulungsmaßnahmen an ihre spezifischen KI-Anwendungen und Unternehmensstrukturen anzupassen.2

Differenzierte Kompetenzanforderungen nach Mitarbeitergruppen

Nicht alle Mitarbeiter benötigen dasselbe Kompetenzniveau. Der EU AI Act erkennt an, dass unterschiedliche Rollen unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen. Hier eine Übersicht der wichtigsten Zielgruppen und ihrer spezifischen Kompetenzanforderungen:

1. Führungskräfte und Entscheidungsträger

Erforderliche Kompetenzen:

  • Grundlegendes Verständnis von KI-Technologien und deren Einsatzmöglichkeiten
  • Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen und Compliance-Anforderungen
  • Verständnis der ethischen Implikationen und gesellschaftlichen Auswirkungen
  • Fähigkeit zur Bewertung von KI-bezogenen Risiken und Chancen

Schulungsinhalte:

  • Überblick über KI-Technologien und Anwendungsfälle
  • Regulatorische Anforderungen des EU AI Act
  • Governance-Strukturen für verantwortungsvolle KI-Nutzung
  • Strategische Aspekte der KI-Implementierung

2. Direkte Anwender von KI-Systemen

Erforderliche Kompetenzen:

  • Praktisches Verständnis der genutzten KI-Systeme
  • Fähigkeit zur kritischen Bewertung von KI-generierten Ergebnissen
  • Kenntnis der Grenzen und potenziellen Fehlerquellen
  • Wissen über den korrekten Umgang mit KI-Outputs

Schulungsinhalte:

  • Funktionsweise der spezifischen KI-Systeme im Unternehmen
  • Interpretation und Validierung von KI-Ergebnissen
  • Erkennung und Umgang mit Bias und Fehlern
  • Dokumentation der KI-Nutzung

3. KI-Entwickler und -Implementierer

Erforderliche Kompetenzen:

  • Tiefgreifendes technisches Verständnis von KI-Algorithmen und -Modellen
  • Kenntnis von Best Practices für sichere und ethische KI-Entwicklung
  • Fähigkeit zur Implementierung von Transparenz- und Erklärbarkeitsmaßnahmen
  • Verständnis für Datenschutz und Datensicherheit im KI-Kontext

Schulungsinhalte:

  • Fortgeschrittene KI-Konzepte und -Technologien
  • Methoden zur Erkennung und Minimierung von Bias
  • Techniken zur Erhöhung der Transparenz und Erklärbarkeit
  • Sicherheitsmaßnahmen für KI-Systeme

4. Supportpersonal und indirekte Nutzer

Erforderliche Kompetenzen:

  • Grundlegendes Verständnis der KI-Systeme im Unternehmen
  • Kenntnis der Prozesse für Fehlermeldungen und Eskalation
  • Bewusstsein für potenzielle Risiken und Einschränkungen

Schulungsinhalte:

  • Überblick über eingesetzte KI-Systeme
  • Grundlegende KI-Konzepte und -Terminologie
  • Prozesse für Problembehandlung und Eskalation
  • Datenschutz und Datensicherheit im Kontext von KI3

Mindeststandards für KI-Kompetenz nach Risikokategorien

Der EU AI Act kategorisiert KI-Systeme nach ihrem Risikoniveau. Diese Kategorisierung hat direkte Auswirkungen auf die erforderlichen Kompetenzstandards:

Für KI-Systeme mit minimalem Risiko

  • Grundlegendes Verständnis der Funktionsweise
  • Bewusstsein für potenzielle Einschränkungen
  • Kenntnis der korrekten Nutzung

Für KI-Systeme mit begrenztem Risiko

  • Vertieftes Verständnis der Funktionsweise und Grenzen
  • Fähigkeit zur kritischen Bewertung von Ergebnissen
  • Kenntnis der Transparenzpflichten

Für KI-Systeme mit hohem Risiko

  • Umfassendes Verständnis der technischen und ethischen Aspekte
  • Fähigkeit zur Erkennung und Behandlung von Bias und Fehlern
  • Detaillierte Kenntnis der regulatorischen Anforderungen
  • Kompetenz in der Dokumentation und Nachverfolgung

Für verbotene KI-Anwendungen

  • Klare Kenntnis der Verbotstatbestände
  • Fähigkeit zur Identifizierung potenziell verbotener Anwendungen
  • Wissen über Meldepflichten und Eskalationsprozesse4

Praktische Umsetzung: Wie ermitteln Sie den Schulungsbedarf?

Um den spezifischen Schulungsbedarf in Ihrem Unternehmen zu ermitteln, empfehlen wir einen strukturierten Ansatz:

1. KI-Bestandsaufnahme durchführen

Erstellen Sie zunächst eine vollständige Übersicht aller KI-Systeme in Ihrem Unternehmen. Berücksichtigen Sie dabei auch "versteckte" KI in Standardsoftware oder zugekauften Diensten.

2. Risikobewertung vornehmen

Bewerten Sie jedes identifizierte KI-System nach seinem Risikoniveau gemäß EU AI Act. Berücksichtigen Sie dabei Faktoren wie:

  • Einsatzzweck und Anwendungsbereich
  • Potenzielle Auswirkungen auf Individuen oder Gruppen
  • Autonomiegrad des Systems
  • Transparenz und Erklärbarkeit

3. Mitarbeitergruppen identifizieren

Ermitteln Sie für jedes KI-System, welche Mitarbeiter damit in welcher Form interagieren. Unterscheiden Sie dabei zwischen:

  • Direkten Anwendern
  • Entscheidungsträgern auf Basis von KI-Outputs
  • Entwicklern und Administratoren
  • Indirekt betroffenen Personen

4. Ist-Zustand der Kompetenzen erheben

Führen Sie eine Bestandsaufnahme der vorhandenen KI-Kompetenzen durch. Dies kann durch:

  • Selbsteinschätzungen der Mitarbeiter
  • Wissenstests und Assessments
  • Interviews mit Führungskräften und Fachexperten
  • Analyse bisheriger Schulungsmaßnahmen

5. Gap-Analyse durchführen

Vergleichen Sie die erforderlichen Kompetenzen mit dem Ist-Zustand, um Schulungslücken zu identifizieren. Priorisieren Sie dabei Bereiche mit hohem Risiko und großen Kompetenzlücken.5

Effektive Schulungsformate für verschiedene Zielgruppen

Je nach Zielgruppe und Lernzielen eignen sich unterschiedliche Schulungsformate:

Für Führungskräfte und Entscheidungsträger

  • Executive Briefings (2-4 Stunden)
  • Strategieworkshops mit Fallstudien
  • Peer-Learning in Führungszirkeln
  • Selbstlernmodule mit flexiblen Zeitfenstern

Für direkte Anwender

  • Praxisorientierte Workshops (1-2 Tage)
  • Blended-Learning-Programme
  • Hands-on-Trainings mit realen Anwendungsfällen
  • Regelmäßige Auffrischungskurse

Für Entwickler und technische Experten

  • Intensive Fachschulungen (2-5 Tage)
  • Zertifizierungsprogramme
  • Hackathons und Coding-Workshops
  • Communities of Practice für kontinuierlichen Austausch

Für Supportpersonal und indirekte Nutzer

  • Kurze Awareness-Schulungen (2-4 Stunden)
  • E-Learning-Module
  • Infografiken und Kurzanleitungen
  • Regelmäßige Updates bei Systemänderungen6

Dokumentation und Nachweis der KI-Kompetenz

Ein zentraler Aspekt der Compliance mit Artikel 4 ist die Dokumentation der Schulungsmaßnahmen und der erworbenen Kompetenzen. Folgende Elemente sollten dokumentiert werden:

1. Schulungskonzept

  • Zielgruppen und deren spezifische Kompetenzanforderungen
  • Lernziele und Inhalte der Schulungsmaßnahmen
  • Schulungsformate und -methoden
  • Aktualisierungszyklen und Auffrischungskonzept

2. Durchgeführte Schulungen

  • Teilnehmerlisten mit Namen und Funktionen
  • Schulungstermine und -dauer
  • Schulungsinhalte und -materialien
  • Name und Qualifikation der Trainer

3. Kompetenznachweise

  • Ergebnisse von Wissenstests und Assessments
  • Zertifikate und Teilnahmebestätigungen
  • Feedback und Evaluationsergebnisse
  • Dokumentation praktischer Anwendungen

4. Kontinuierliche Verbesserung

  • Regelmäßige Überprüfung der Schulungseffektivität
  • Anpassung der Schulungsinhalte an neue Entwicklungen
  • Dokumentation von Verbesserungsmaßnahmen
  • Berücksichtigung von Feedback der Teilnehmer7

Best Practices für nachhaltige KI-Kompetenzentwicklung

Um nicht nur die formalen Anforderungen des EU AI Act zu erfüllen, sondern echte KI-Kompetenz in Ihrem Unternehmen aufzubauen, empfehlen wir folgende Best Practices:

1. KI-Kompetenz in die Unternehmenskultur integrieren

  • Förderung einer offenen Lernkultur
  • Regelmäßiger Austausch über KI-Themen
  • Anerkennung und Wertschätzung von KI-Kompetenz
  • Vorbildfunktion der Führungskräfte

2. Praxisorientierte Schulungen durchführen

  • Verwendung realer Anwendungsfälle aus dem Unternehmen
  • Übungen mit den tatsächlich genutzten KI-Systemen
  • Diskussion konkreter ethischer Dilemmata
  • Simulation von Problemsituationen

3. Kontinuierliches Lernen fördern

  • Etablierung von Lerngemeinschaften
  • Bereitstellung von Selbstlernressourcen
  • Regelmäßige Updates zu KI-Entwicklungen
  • Integration von KI-Themen in bestehende Meetings

4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken

  • Förderung des Austauschs zwischen technischen und nicht-technischen Teams
  • Gemeinsame Schulungen für verschiedene Abteilungen
  • Bildung interdisziplinärer KI-Ethik-Komitees
  • Einbeziehung verschiedener Perspektiven in KI-Entscheidungen8

Fazit: KI-Kompetenz als strategischer Wettbewerbsvorteil

Die Schulungspflicht nach Artikel 4 des EU AI Act sollte nicht nur als regulatorische Hürde betrachtet werden, sondern als Chance, die KI-Kompetenz im Unternehmen systematisch aufzubauen. Unternehmen, die über gut geschulte Mitarbeiter verfügen, können KI-Technologien effektiver, sicherer und ethisch verantwortungsvoller einsetzen – und sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Die Investition in KI-Kompetenz zahlt sich mehrfach aus:

  • Reduzierung von Compliance-Risiken
  • Verbesserung der KI-Nutzung und -Effektivität
  • Stärkung des Vertrauens von Kunden und Partnern
  • Förderung von Innovation und kontinuierlicher Verbesserung

Beginnen Sie jetzt mit der systematischen Entwicklung der KI-Kompetenz in Ihrem Unternehmen, um nicht nur die Anforderungen des EU AI Act zu erfüllen, sondern auch die Chancen der KI-Technologie voll auszuschöpfen.


Quellen

Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Für individuelle Beratung zu Ihren spezifischen Anforderungen kontaktieren Sie bitte einen Rechtsexperten.

  1. Artikel 4 der Verordnung (EU) 2024/1689 (EU AI Act). Verfügbar unter: https://artificialintelligenceact.eu/article/4/

  2. Europäische Kommission (2024): "Leitfaden zur Umsetzung des Artikels 4 des EU AI Act". Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien.

  3. KI Company (2025): "AI competency requirement 2025 | What companies need to know". Verfügbar unter: https://www.ki-company.ai/en/blog-beitraege/ai-competence-requirement-under-the-eu-ai-act-what-companies-need-to-know

  4. Latham & Watkins (2024): "Upcoming EU AI Act Obligations: Mandatory Training and Prohibited Practices". Verfügbar unter: https://www.lw.com/en/insights/upcoming-eu-ai-act-obligations-mandatory-training-and-prohibited-practices

  5. Worklaw (2024): "Europe: Training According to the EU AI Act". Verfügbar unter: https://worklaw.com/blog/europe-training-according-to-the-eu-ai-act

  6. Rexx Systems (2024): "AI Training Obligation: What Companies Need to Know". Verfügbar unter: https://www.rexx-systems.com/news-en/ai-training-obligation/

  7. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2024): "Leitfaden zur Dokumentation von KI-Schulungsmaßnahmen nach dem EU AI Act". BMWK.

  8. Artificial Intelligence Act (2024): "Best Practices for AI Literacy Training". Verfügbar unter: https://www.artificial-intelligence-act.com/Artificial_Intelligence_Act_Trained_Professional_(AIActTPro).html

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