Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen die Schulungspflicht?
Seit dem 2. Februar 2025 gilt die Schulungspflicht nach Artikel 4 des EU AI Act – doch viele Unternehmen unterschätzen die rechtlichen und finanziellen Risiken, die mit einer Nichteinhaltung verbunden sind. Obwohl der EU AI Act keine direkten Bußgelder speziell für Verstöße gegen die KI-Kompetenzanforderungen vorsieht, können die Konsequenzen dennoch gravierend sein. Dieser Artikel beleuchtet die potenziellen Strafen, Haftungsrisiken und Reputationsschäden, die Unternehmen bei mangelnder KI-Schulung drohen, und zeigt auf, wie Sie diese Risiken effektiv minimieren können.
Das Sanktionsregime des EU AI Act im Überblick
Der EU AI Act (Verordnung (EU) 2024/1689) etabliert ein umfassendes Sanktionsregime für Verstöße gegen seine Bestimmungen. Die Höhe der Bußgelder orientiert sich an der Schwere des Verstoßes und der Größe des Unternehmens:
Maximale Bußgelder für schwerwiegende Verstöße:
- Bis zu 35 Millionen Euro oder
- 7% des weltweiten Jahresumsatzes (es gilt der höhere Wert)
Diese Höchststrafen werden insbesondere bei Verstößen gegen die Verbote bestimmter KI-Anwendungen (Artikel 5) oder bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme verhängt.
Bußgelder für weniger schwerwiegende Verstöße:
- Bis zu 15 Millionen Euro oder
- 3% des weltweiten Jahresumsatzes (es gilt der höhere Wert)
Diese Strafen können bei Verstößen gegen allgemeine Transparenzpflichten oder bei der Bereitstellung falscher Informationen verhängt werden.
Bußgelder für leichtere Verstöße:
- Bis zu 7,5 Millionen Euro oder
- 1,5% des weltweiten Jahresumsatzes (es gilt der höhere Wert)
Diese Kategorie umfasst Verstöße gegen administrative Pflichten und Dokumentationsanforderungen.1
Artikel 4 und direkte Sanktionen: Eine rechtliche Grauzone
Die Schulungspflicht nach Artikel 4 nimmt im Sanktionsregime des EU AI Act eine Sonderstellung ein. Der Gesetzestext sieht keine direkten Bußgelder speziell für Verstöße gegen die KI-Kompetenzanforderungen vor. Dies hat zu der Fehlinterpretation geführt, dass die Schulungspflicht lediglich einen appellativen Charakter habe und Verstöße keine Konsequenzen nach sich zögen.
Diese Einschätzung ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch:
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Indirekte Sanktionen: Mangelnde KI-Kompetenz kann zu Verstößen gegen andere Bestimmungen des EU AI Act führen, die direkt sanktioniert werden.
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Behördliche Prüfungen: Ab dem 2. August 2025, wenn das Sanktionsregime vollständig anwendbar wird, werden Aufsichtsbehörden bei Untersuchungen offensichtliche Verstöße gegen die KI-Kompetenzanforderungen kritisieren und in Gesamtbewertungen einbeziehen.
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Zivilrechtliche Haftung: Unabhängig von direkten Bußgeldern können Unternehmen für Schäden haftbar gemacht werden, die durch mangelnde KI-Kompetenz ihrer Mitarbeiter verursacht werden.2
Rechtsexperten sind sich einig: Die fehlende explizite Sanktionierung bedeutet nicht, dass Verstöße gegen Artikel 4 folgenlos bleiben. Vielmehr ist die Schulungspflicht als grundlegende Voraussetzung für die Einhaltung aller anderen Bestimmungen des EU AI Act zu verstehen.
Zivilrechtliche Haftungsrisiken: Die unterschätzte Gefahr
Während die direkten Bußgelder im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen, werden die zivilrechtlichen Haftungsrisiken oft unterschätzt. Diese können jedoch finanziell weitaus gravierender sein als die regulatorischen Strafen.
Haftung für KI-verursachte Schäden
Wenn ein KI-System Schäden verursacht und nachgewiesen werden kann, dass diese auf mangelnde Kompetenz der verantwortlichen Mitarbeiter zurückzuführen sind, kann das Unternehmen für diese Schäden haftbar gemacht werden. Dies umfasst:
- Materielle Schäden: Finanzielle Verluste, Sachschäden, Behandlungskosten
- Immaterielle Schäden: Schmerzensgeld, Entschädigung für Diskriminierung
- Folgeschäden: Entgangene Gewinne, Reputationsschäden
Die Haftung kann sich dabei auf verschiedene Rechtsgrundlagen stützen:
- Vertragliche Haftung: Gegenüber Kunden, Partnern oder Dienstleistern
- Deliktische Haftung: Bei Verletzung von Rechtsgütern Dritter
- Produkthaftung: Bei fehlerhaften KI-Produkten oder -Dienstleistungen3
Fallbeispiel: Diskriminierung durch KI-basiertes Recruiting-Tool
Ein Unternehmen setzt ein KI-basiertes Tool für die Vorauswahl von Bewerbern ein. Aufgrund mangelnder Schulung erkennen die verantwortlichen Mitarbeiter nicht, dass das System bestimmte Bewerbergruppen systematisch benachteiligt. Nach einer Sammelklage wird das Unternehmen zu Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe verurteilt und muss zusätzlich ein kostspieliges Diversity-Programm implementieren.
Fallbeispiel: Fehlerhafte KI-gestützte Finanzberatung
Ein Finanzdienstleister nutzt KI-Systeme zur Anlageberatung. Unzureichend geschulte Berater können die Grenzen des Systems nicht richtig einschätzen und geben fehlerhafte Empfehlungen. Die Kunden erleiden erhebliche Verluste und verklagen das Unternehmen erfolgreich auf Schadensersatz.4
Persönliche Haftung von Führungskräften und Geschäftsführern
Besonders brisant: Auch Führungskräfte und Geschäftsführer können persönlich haftbar gemacht werden, wenn sie ihrer Organisationspflicht nicht nachkommen. Dies umfasst die Pflicht, für ausreichende Schulung und Qualifikation der Mitarbeiter zu sorgen.
Mögliche persönliche Konsequenzen:
- Schadensersatzforderungen des Unternehmens (Innenhaftung)
- Direkte Haftung gegenüber geschädigten Dritten (Außenhaftung)
- Strafverfahren bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz
- Abberufung aus der Geschäftsführung
- Reputationsschäden und Karriererisiken
Rechtsexperten betonen, dass die persönliche Haftung von Führungskräften ein zunehmendes Risiko darstellt, insbesondere im Kontext neuer Technologien wie KI, wo die Sorgfaltspflichten noch nicht durch langjährige Rechtsprechung konkretisiert sind.5
Indirekte Folgen: Behördliche Maßnahmen und Reputationsschäden
Neben direkten Bußgeldern und zivilrechtlicher Haftung können Verstöße gegen die Schulungspflicht weitere schwerwiegende Konsequenzen haben:
Behördliche Maßnahmen
- Anordnung von Nachschulungen: Aufsichtsbehörden können spezifische Schulungsmaßnahmen anordnen.
- Verschärfte Überwachung: Unternehmen können unter intensivere behördliche Beobachtung gestellt werden.
- Betriebseinschränkungen: In schweren Fällen können Einschränkungen des Betriebs von KI-Systemen angeordnet werden.
- Marktzugangsverbote: Bei wiederholten Verstößen kann der Marktzugang für KI-Produkte eingeschränkt werden.
Reputationsschäden
- Vertrauensverlust bei Kunden: Bekannt gewordene Verstöße können das Kundenvertrauen nachhaltig schädigen.
- Negative Medienberichterstattung: Bußgelder und Haftungsfälle ziehen oft mediale Aufmerksamkeit nach sich.
- Beeinträchtigung von Geschäftsbeziehungen: Partner und Lieferanten könnten Geschäftsbeziehungen überdenken.
- Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung: Top-Talente meiden Unternehmen mit schlechtem Compliance-Ruf.6
Eine Studie der Technischen Universität München aus dem Jahr 2024 zeigt, dass die Reputationsschäden durch öffentlich bekannt gewordene KI-Compliance-Verstöße den finanziellen Schaden durch Bußgelder im Durchschnitt um das Dreifache übersteigen können.7
Wann wird es ernst? Der Zeitplan für die Durchsetzung
Die Schulungspflicht nach Artikel 4 des EU AI Act gilt bereits seit dem 2. Februar 2025. Die vollständige Anwendbarkeit des Sanktionsregimes beginnt jedoch erst am 2. August 2025. Ab diesem Zeitpunkt werden die zuständigen Aufsichtsbehörden – in Deutschland voraussichtlich die Bundesnetzagentur – mit der aktiven Überwachung und Durchsetzung beginnen.
Experten rechnen mit folgender Entwicklung:
- August bis Dezember 2025: Informations- und Sensibilisierungsphase mit Fokus auf Beratung und Unterstützung
- Januar bis Juni 2026: Verstärkte Prüfungen mit Schwerpunkt auf Hochrisiko-KI-Systeme
- Ab Juli 2026: Vollständige Durchsetzung mit Bußgeldern und anderen Sanktionen8
Unternehmen sollten diesen Zeitplan jedoch nicht als Anlass nehmen, die Umsetzung der Schulungspflicht aufzuschieben. Denn die zivilrechtliche Haftung besteht unabhängig von behördlichen Durchsetzungsmaßnahmen bereits jetzt.
Risikominimierung: Wie Unternehmen sich schützen können
Um die beschriebenen Risiken zu minimieren, sollten Unternehmen einen proaktiven Ansatz verfolgen:
1. Umfassendes Schulungsprogramm implementieren
- Bedarfsanalyse durchführen und Zielgruppen identifizieren
- Maßgeschneiderte Schulungsinhalte entwickeln
- Verschiedene Schulungsformate für unterschiedliche Zielgruppen anbieten
- Regelmäßige Auffrischungsschulungen durchführen
2. Dokumentation und Nachweisführung etablieren
- Schulungsteilnahme systematisch dokumentieren
- Wissenstests und Zertifizierungen durchführen
- Schulungsinhalte und -materialien archivieren
- Aktualisierungen des Schulungsprogramms dokumentieren
3. Governance-Strukturen aufbauen
- Klare Verantwortlichkeiten für KI-Compliance definieren
- Interne Richtlinien zur KI-Nutzung entwickeln
- Regelmäßige Compliance-Checks durchführen
- Eskalationsprozesse für KI-bezogene Vorfälle etablieren
4. Versicherungsschutz prüfen und anpassen
- Bestehende Haftpflichtversicherungen auf KI-Risiken prüfen
- Spezielle Cyber-Versicherungen mit KI-Deckung erwägen
- D&O-Versicherungen für Führungskräfte anpassen
- Versicherungsschutz regelmäßig an neue Entwicklungen anpassen
5. Externe Expertise einbinden
- Rechtsberatung zu spezifischen Compliance-Anforderungen einholen
- Spezialisierte Schulungsanbieter für KI-Kompetenz beauftragen
- Zertifizierte Compliance-Prüfungen durchführen lassen
- Branchenverbände und Netzwerke für Best Practices nutzen9
Fallstudie: Erfolgreiche Risikominimierung in der Praxis
Ein mittelständisches Unternehmen aus der Finanzbranche hat folgende Maßnahmen ergriffen, um die Risiken mangelnder KI-Schulung zu minimieren:
- Risikobewertung: Systematische Analyse aller KI-Anwendungen und Identifikation von Hochrisiko-Bereichen
- Zielgruppenspezifische Schulungen: Entwicklung maßgeschneiderter Schulungsprogramme für verschiedene Mitarbeitergruppen
- Dokumentationssystem: Implementierung einer digitalen Plattform zur lückenlosen Dokumentation aller Schulungsmaßnahmen
- Regelmäßige Audits: Vierteljährliche Überprüfung der KI-Kompetenz in kritischen Bereichen
- Versicherungsschutz: Abschluss einer spezialisierten Cyber-Versicherung mit KI-Deckung
Das Ergebnis: Bei einer behördlichen Prüfung konnte das Unternehmen nachweisen, dass es alle angemessenen Maßnahmen zur Förderung der KI-Kompetenz ergriffen hatte. Trotz eines festgestellten Vorfalls wurden keine Bußgelder verhängt, da das Unternehmen seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen war.10
Fazit: Investition in KI-Schulung als Risikomanagement
Die Schulungspflicht nach Artikel 4 des EU AI Act mag auf den ersten Blick keine direkten Bußgelder nach sich ziehen, doch die indirekten Risiken – von behördlichen Maßnahmen über zivilrechtliche Haftung bis hin zu Reputationsschäden – sind erheblich. Unternehmen sollten die Investition in KI-Schulungen daher nicht als lästige Compliance-Pflicht, sondern als essentielles Risikomanagement betrachten.
Die Kosten für ein umfassendes Schulungsprogramm sind im Vergleich zu den potenziellen finanziellen und reputationsbezogenen Schäden durch Compliance-Verstöße minimal. Zudem bietet eine gut geschulte Belegschaft nicht nur Schutz vor Risiken, sondern auch einen Wettbewerbsvorteil durch effektivere und sicherere Nutzung von KI-Technologien.
Handeln Sie jetzt, um Ihr Unternehmen vor den Folgen mangelnder KI-Schulung zu schützen. Die Investition in die KI-Kompetenz Ihrer Mitarbeiter ist eine Investition in die Zukunftssicherheit Ihres Unternehmens.
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Quellen
Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Für individuelle Beratung zu Ihren spezifischen Anforderungen kontaktieren Sie bitte einen Rechtsexperten.
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Artikel 74 der Verordnung (EU) 2024/1689 (EU AI Act). Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32024R1689 ↩
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Shaip (2024): "The Cost of Non-Compliance: EU AI Act Penalties". Verfügbar unter: https://www.shaip.com/blog/the-cost-of-non-compliance-eu-ai-act-penalties/ ↩
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Europäische Kommission (2024): "Leitfaden zur Haftung bei KI-Systemen nach dem EU AI Act". Generaldirektion Justiz und Verbraucher. ↩
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Latham & Watkins (2024): "Upcoming EU AI Act Obligations: Mandatory Training and Prohibited Practices". Verfügbar unter: https://www.lw.com/en/insights/upcoming-eu-ai-act-obligations-mandatory-training-and-prohibited-practices ↩
-
Bundesverband der Unternehmensjuristen (2024): "Persönliche Haftungsrisiken von Führungskräften im Kontext des EU AI Act". BUJ-Studie. ↩
-
Rexx Systems (2024): "AI Training Obligation: What Companies Need to Know". Verfügbar unter: https://www.rexx-systems.com/news-en/ai-training-obligation/ ↩
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Technische Universität München (2024): "Reputationsschäden durch KI-Compliance-Verstöße". Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation. ↩
-
Europäische Kommission (2024): "Zeitplan für die Umsetzung des EU AI Act". Verfügbar unter: https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/european-approach-artificial-intelligence ↩
-
KI Company (2025): "AI competency requirement 2025 | What companies need to know". Verfügbar unter: https://www.ki-company.ai/en/blog-beitraege/ai-competence-requirement-under-the-eu-ai-act-what-companies-need-to-know ↩
-
FIDA (2024): "EU AI Act Schulung: Fallstudie Finanzbranche". Verfügbar unter: https://www.fida.de/en/fidacademy/generative-ai/eu-ai-act-schulung ↩
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